»So so, Magdalena, du möchtest also in unseren Orden eintreten.«
Es ist eine harmlose, unverfängliche Feststellung. Doch der Blick, den mir die Mutter Oberin dabei zuwirft, ist so eindringlich, dass mir augenblicklich heiß wird. Ganz langsam lässt sie ihre Augen über mein Gesicht wandern, über den weißen Schleier und weiter über die schwarze Tracht. Es ist, als würde sie jeden Zentimeter von mir einzeln überprüfen. Meine Hände, den Hals, jedes Stückchen Haut, das nicht von dem weiten schwarzen Kleid verdeckt wird. Jedes dunkle Haar, das sich widerspenstig seinen Weg unter dem Schleier hindurch in die Freiheit gebahnt hat.
Sie lässt sich Zeit mit ihrer Musterung, während ich von Sekunde zu Sekunde unruhiger werde. War es falsch hierher zu kommen? Wird sie mich abweisen, genau wie alle anderen Klostervorsteherinnen zuvor?
Ich vermute, dass sie diese Möglichkeit gerade abwägt, obwohl ihr starrer Gesichtsausdruck keinerlei Rückschlüsse zulässt. Um uns herum ist es totenstill geworden, es scheint, als ob selbst die beiden Mönche, die regungslos neben der Tür zum Büro stehen, einen Moment lang aufgehört hätten zu atmen. Auf merkwürdige Art und Weise fühle ich mich genau wie damals in der Schule, wo ich jedes Mal von unserem Mathe-Lehrer zur Tafel zitiert wurde, wenn ich meine Hausübungen nicht gemacht hatte, und dann auf Herz und Nieren geprüft wurde.
»Warum?«, reißt mich Schwester Katharina aus meinen Gedanken.
»Ich mag die Zurückgezogenheit dieses Ordens«, rattere ich meine einstudierte Antwort herunter, »und ich arbeite gerne mit Pflanzen. Ich denke, dass ich mich in der Kräuterheilkunde gut einbringen könnte.« Dass es die einzige Möglichkeit ist, noch vor meinem 21. Geburtstag an mein Erbe zu kommen, kann ich ja schlecht zugeben.
»Mhm.« Oberschwester Katharina greift nach ihrer Feder, um sich ein paar Notizen zu machen, und ich fühle kurzfristig Erleichterung, weil ihre Aufmerksamkeit zurück zu den Unterlagen wandert. Keine Ahnung, warum mich die Blicke dieser Frau so nervös machen. Vielleicht, weil ich das Gefühl habe, dass sie mir jeden Gedanken aus dem Gesicht ablesen kann. Vielleicht auch, weil ich in jeder Geste von ihr eine Autorität und Überheblichkeit ausmachen kann, die mir überhaupt nicht gefallen.
Katharina räuspert sich als sie fertig ist und bedeckt mich mit einem weiteren, undurchschaubaren Blick. »Du weißt, dass wir hier strenge Regeln befolgen, nicht wahr, mein Kind?«
Ich nicke und weiche gleichzeitig zurück, weil die Oberin im selben Moment von ihrem Stuhl springt und ihn mit einem lauten Knarren zurück unter den kunstvoll geschnitzten Holztisch stößt.
»Ja natürlich«, lege ich nach, als sie mit fragendem Blick näher kommt, doch auch diese Antwort scheint sie wenig zufriedenzustellen. Statt meinen Worten zu glauben, baut sie sich vor mir auf und stemmt die Hände in die Hüften, um mich noch einmal eingehend zu betrachten. Die Tatsache, dass ich dabei ihren heißen Atem auf meiner Haut fühlen kann, behagt mir ganz und gar nicht.
»Wir haben strenge Kleidervorschriften«, erklärt sie, als ihr Gesicht bloß noch wenige Zentimeter von meinem entfernt ist, und kräuselt die Lippen. Der Anblick irritiert mich, zumindest für die erste Sekunde. Da ist etwas, das nicht mit dem Bild der strengen Ordensschwester zusammenpasst. Sie ist eine attraktive Frau mittleren Alters, mit langen, dunklen Wimpern, strahlenden grünen Augen und glatter Haut, an der die Zeit kaum Spuren hinterlassen hat. Und mit schön geschwungenen, roten Lippen… sehr roten Lippen. Lippen, die ganz gewiss nicht von der Natur so eingefärbt wurden.
Ich versuche mir gerade einen Reim darauf zu machen, weshalb eine so ranghohe Schwester wie Katharina zu so etwas Sündigem wie Lippenstift greifen könnte, als mich ein neuerliches Räuspern unterbricht. Sie wartet auf eine Reaktion.
»Ich habe die Kleidervorschriften erhalten, Mutter Oberin. Und ich habe sie selbstverständlich berücksichtigt«, sage ich schnell, um das leidige Thema zu beenden. Von den missglückten Aufnahmegesprächen in den anderen Klöstern weiß ich längst, dass die Nonnen wenig Verständnis dafür haben, wenn man diese Konventionen ignoriert oder allzu freizügig umsetzt.
»Ach tatsächlich?« Zum ersten Mal kann ich ein kleines Lächeln im Gesicht der Ordensschwester ausmachen. Doch es ist kein freundliches Lächeln, sondern vielmehr eines, das Herausforderung bedeutet. Überlegenheit. Ich nicke etwas verunsichert, während ihre Augen erneut mit der Inspektion beginnen. Dieses Mal allerdings belässt sie es nicht bei den Blicken.
»Der Schleier sitzt nicht richtig«, erklärt sie, »man kann zu viel von deinem Haar sehen.« Mit einer schnellen Bewegung greift sie danach und zieht mir den weißen Stoff mitsamt Reifen vom Kopf. Die unerwartete Berührung lässt mich zusammenzucken. Noch mehr überrumpelt mich allerdings die zärtliche Geste, mit der sie mir im nächsten Augenblick durch das Haar streicht.
»Du hast schöne Wellen«, stellt sie fest und zwirbelt eine lange dunkelbraune Strähne zwischen ihren Fingern. »Ich wette, die Männer sind ganz wild auf deine Mähne, nicht wahr?«
Ich starre sie nur an, unsicher, worauf sie hinaus will oder welche Antwort sie jetzt von mir erwartet. Sie allerdings wertet mein Schweigen als Zustimmung.
»Hast du dein Haar so lang wachsen lassen, um auch hier die Männer zu verführen?«
»Nein, natürlich nicht!«, verteidige ich mich, sobald ich es schaffe, mich aus der Schockstarre zu lösen – und spüre im selben Atemzug, wie sich ihre Hand tiefer in mein Haar gräbt und meinen Kopf unsanft nach hinten zieht, bis fast ganz runter zum Schreibtisch.
»Dann wäre es dir egal, wenn wir dir deine Mähne einfach abschneiden?«
Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie ihre Finger nach der großen silbernen Schere tasten, die bis eben unbemerkt in der Mitte des Schreibtisches lag. Der Gedanke, den ich dabei in ihrer grünen Iris aufblitzen sehe, gefällt mir überhaupt nicht. Aber es gibt nichts, was ich dem entgegensetzen könnte. Es ist das letzte von fünf Klöstern in unserem Landkreis, und damit meine allerletzte Chance, doch noch die Bedingungen im Testament meines Vaters zu erfüllen und vorzeitig an mein Erbe zu kommen. Neunhundertsechzigtausend Euro, wiederhole ich in Gedanken. Es geht um fast eine Million! Für diese Summe würde sich doch jeder vernünftige Mensch mal den Kopf scheren lassen!
»Ja, das wäre es«, presse ich etwas gequält hervor und vergesse fast zu atmen, als ich gleich darauf die kühle Spitze der Schere an meiner Schläfe fühle. »Äußerlichkeiten sind hier nicht wichtig«, wiederhole ich, was ich aus den Vorgaben in Erinnerung habe und zwinge mich, Schwester Katharinas Blick zu halten, während sie das kühle Schneidegerät bedrohlich langsam meinen Haaransatz entlang wandern lässt.
»Das ist richtig mein Kind«, nickt die Oberin eifrig und fasst mein dickes Haar zu einem strengen Zopf. Ich halte mein Pokerface. Beiße die Zähne zusammen. Warte darauf, dass sie die Schere ganz oben ansetzt, und das beendet, was sie eben im Begriff war zu tun. Doch statt meiner Haarsträhnen, sehe ich gleich darauf die Schere zurück auf den Schreibtisch fallen.
»Ich denke wir lassen dein Haar so wie es ist«, brummt die Oberschwester und ihre Stimme verliert dabei keineswegs an Schärfe. »Fürs Erste zumindest.«
Ich wage noch immer nicht zu atmen. Einerseits, weil ich mir keinesfalls die Erleichterung anmerken lassen möchte, dass sie das spitze Gerät endlich weggelegt hat. Andererseits, weil ihre Hände erneut begonnen haben, über meine Kopfhaut zu streichen.
»Dann wollen wir mal sehen, wie ernst du es mit den sonstigen Vorschriften genommen hast«, murmelt sie mehr an sich selbst gerichtet, denn an mich, und schreitet ganz langsam um mich herum, um mein Gewand von allen Seiten zu inspizieren.
Es ist noch immer so still im Saal, dass man meinen könnte, die beiden Mönche hätten sich in Luft aufgelöst. Doch obwohl mein Blick von ihnen weg und zum Tisch gerichtet ist, kann ich ihre Anwesenheit fühlen. Ich kann spüren, dass sie den Schritten der Oberin genau folgen. Dass sie aufmerksam jede Bewegung beobachten, jede Falte, die sie mit ihren Händen an meiner Kleidung glatt streicht, und jede Berührung, wenn sie mit ihren Fingerspitzen meine Konturen nachzeichnet.
»Du füllst deine Tracht gut aus, mein Kind«, stellt die Schwester fest und lässt mich entsetzt nach Luft schnappen, als ich ihre Hände seitlich neben meinen Brüsten fühle. »Fast zu gut, wie ich denke.«
Prüfend streicht sie von den Schultern nach unten, genau den Träger der Unterwäsche entlang. Mit den Fingern ertastet sie den Bügel, dann die Reifen. Und schließlich die vollen Körbchen. »Trägst du nicht die Unterkleider, die vorgeschrieben sind?«
Sie klingt jetzt so schroff und aufgebracht, dass ich nicht wage, irgendetwas zu entgegnen. Doch der Art und Weise nach, wie sie jetzt die Schalen befühlt, und dabei den Ansatz meiner Brüste ertastet, hat sie ohnehin bereits gefunden, wonach sie gesucht hat.
Ich presse die Lippen zusammen. Versuche den heftigen Kloß zu ignorieren, der sich in meiner Kehle formiert hat und mir das Atmen erschwert. Doch so sehr ich mich auch konzentriere, standhaft zu bleiben, meine Kraft schwindet mit jeder Sekunde, die sie meine Brüste in ihren Händen hin und her wiegt. Mir wird schwindlig. Schummrig vor Augen. Und ich kann schon spüren, wie meine Knie nachgeben. Doch noch bevor ich nach vorne auf den Tisch zusammensacken kann, löst sich Schwester Katharina von meinen Brüsten und verpasst mir einen blitzschnellen Schlag auf die Kehrseite.
»Lass dich nicht so gehen Kind!«, ermahnt sie mich schroff. »Hast du nicht gelernt Haltung zu bewahren?« Wieder packt sie mich am Zopf und zerrt meinen Kopf nach hinten, bis ich kerzengerade vor ihr stehe.
»Stütz dich mit den Armen auf dem Tisch ab, wenn du so schwach bist«, fährt sie ungerührt fort und schubst mich wie zur Demonstration ein Stück weiter nach vorne. »Beine durchstrecken! Und ein Stück weiter öffnen! Das Gesäß bleibt oben!«
Mit ihrer Schuhspitze drängt sie meine Füße auseinander, die Hände greifen nach meinen Hüften, um mich in die richtige Position zu zwingen.
Ich versuche den Kloß in meinem Hals runter zu schlucken, doch das will mir nicht so recht gelingen. Vielmehr scheint es, dass das Atmen immer schwerer wird. Und die Tatsache, dass die Schwester jetzt erneut damit begonnen hat, meinen Körper abzutasten, macht es auch nicht gerade leichter. Natürlich weiß ich schon von meinen anderen vier Vorstellungsgesprächen in den übrigen Klöstern, dass es die Oberinnen mit der Prüfung der Anwärterinnen äußerst genau nehmen. Aber an die Wäsche ist mir da zumindest keine gegangen. Oder hatten mich die anderen bloß schon abgelehnt, bevor es überhaupt zu diesem intimen Teil des Aufnahmegespräches kommen konnte?
Ich sauge scharf die Luft ein, als ich Katharinas Hände auf meinen Pobacken spüre. Forschend tastet sie mein Gesäß ab, tätschelt ganz salopp meinen Hintern. Und drückt in der nächsten Sekunde so kräftig zu, dass mir ein kleines Wimmern entfährt. Die Oberin ignoriert großzügig meinen Klagelaut. Anstatt mich zu ermahnen, ruhig zu sein, setzt sie unbeirrt die Untersuchung meines Körpers fort – und treibt mir damit rasch die ersten Schweißperlen auf die Stirn. So etwas wie Privatsphäre gibt es in diesem Kloster anscheinend nicht. Und das Wort ›Tabu‹ scheint die Oberin auch nicht zu kennen. Mit einer Gründlichkeit, die Ihresgleichen sucht, tastet sie sich weiter meine Schenkel entlang. Außen hinunter bis zu den Kniekehlen. Dann an der Innenseite nach oben, bis … Ich schnappe nach Luft, als ich ihre Hand zwischen meinen Beinen fühle. Flach. Unnachgiebig. Mit einem so starken Druck, dass sich alles in mir voller Ehrfurcht zusammenzieht, so als würden selbst die Organe in meinem Innersten vor lauter Schreck die Luft anhalten.
»Trägst du nun Wäsche, die unsere Kleiderordnung vorsieht, oder nicht?«
Schwester Katharinas Lippen sind plötzlich so nahe an meinem Ohr, dass ich jedes Wort über meine Haut kitzeln fühle. Ihr heißer Atem streift mich erneut und scheint mich gnadenlos zu versengen.
»Ja, das tue ich«, behaupte ich schnell.
»Sicher?«
Ich nicke, doch mein Zögern bleibt nicht unbemerkt. Verdammter Mist, weshalb macht es mich bloß so nervös, diese Ordensfrau zu belügen? Ich meine, das hier ist doch noch nicht einmal ein wichtiges Thema. Es geht um meine Unterwäsche, Herrgott noch mal! Das geht die schrullige Obernonne doch nun wirklich nichts an!
Sie scheint das allerdings etwas anderes zu sehen. »Was jetzt?«, bohrt sie noch einmal nach.
»Ich meine, ich wollte sie tragen«, gebe ich zu. »Aber die Wäsche hat nicht so recht … gepasst.« Dass ich den grauen Oma Schlüpfer noch nicht einmal mit einer Beißzange angefasst hätte, behalte ich besser für mich.
»Dann sehen wir uns doch einmal an, was du für eine Alternative gewählt hast«, säuselt sie und klingt dabei fast schon verführerisch sanft. Trotzdem habe ich keinen Zweifel daran, dass sie kein Nein akzeptiert. Zumindest nicht, wenn ich diesen verfluchten Aufnahmetest erfolgreich abschließen will.
Ich nicke also und ergebe mich meinem Schicksal. Beiße die Zähne zusammen, um nur ja keinen weiteren, unbedachten Laut auszustoßen, als ich Katharinas spitze Fingernägel in meinem Nacken fühle, wo sie schroff nach der Schleife schnappen, die das Kleid zwischen meinen Schultern zusammenhält. Es ist nur ein kleiner Handgriff, doch er bedeutet alles für mich. Den Unterschied zwischen Kleidung und Schutzlosigkeit. Zwischen Sicherheit und Ausgeliefertsein. Zwischen Selbstbewusstsein und Demut.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als in meiner unbequemen Pose stehen zu bleiben, als mein schwarzes Kleid mit einem dumpfen Rascheln zu Boden fällt. Auszuharren, während die Mutter Oberin meinen Körper vor allen Anwesenden entblößt. Und obwohl ich ja noch immer meine liebste schwarze Spitzenwäsche trage, fühle ich mich nackter als jemals zuvor in meinem Leben. Mir ist, als könnte ich die Blicke der anderen spüren. Ihre Augen, die meine Wäsche missbilligen. Die über meine Rundungen wandern und dabei peinlich genau prüfen, ob ich mich dem Orden als würdig erweise. Ob ich mich Ihrer als würdig erweise. Allen voran, die strenge Oberschwester Katharina, die erneut begonnen hat, mich mit ihren Händen zu vermessen, so als ob ich ein Modell aus Gips wäre, und nicht ein Mensch aus Fleisch und Blut.
»Dreh dich um«, verlangt sie, »lass mich dich von allen Seiten betrachten.«
Weil mein Schicksal nach der Wäschesache ohnehin schon an einem seidenen Faden hängt, tue ich brav was sie sagt und drehe mich wieder und wieder um meine eigene Achse, bis der gesamte Raum um mich herum zu verschwimmen scheint. Ich sehe bloß noch zwei schwarze Schatten am Eingang. Eine Holzwand, eine dunkle Fläche, ein …
»Genug!« Katharina packt mich unsanft an der Hand und hält mich fest, ehe ich das Gleichgewicht endgültig verliere.
»Du bist schön«, sagt sie und schneidet mir mit ihrer Handbewegung das Wort ab, noch bevor ich dazu komme, meine Lippen zu öffnen. »Ich weiß, dafür kannst du nichts, mein Kind … und doch können wir diesen Umstand nicht einfach ignorieren.«
Noch einmal lässt sie ganz langsam ihre Augen über mein Gesicht wandern. Über mein Dekolleté, und die Brüste, die sich mit jedem Atemzug zitternd heben und senken.
»Dein Körper ist zur Sünde geschaffen. Lass dir das von einer erfahrenen Frau gesagt sein. Er ist mit allen Reizen ausgestattet, Männer zu verführen. Besucher. Arbeiter. Fremde. Männer, die allesamt kein Anrecht darauf haben, wenn du erst einmal mit Gott verheiratet bist.«
Mit ihrem Daumennagel zeichnet sie andächtig eine feine Linie über mein Schlüsselbein und dann weiter nach unten. Erst noch sachte, dann immer fester. Als sie den Ansatz meiner Brüste erreicht hat, bohrt sich ihr Nagel so tief in meine Haut, dass hinter ihm ein roter Kratzer zurückbleibt.
»Hast du sie schon einmal genützt?« Sie sieht mich herausfordernd an, doch ich verstehe kein Wort. »Deine Macht über Männer, meine ich. Hast du sie schon einmal genützt, um jemanden zur Sünde zu verführen?«
»Nein«, lüge ich, und versuche im selben Atemzug all die Bilder zu verdrängen, die plötzlich aus dem dem Nichts aufgetaucht sind und begonnen haben, durch meinen Kopf zu spuken. Bilder von meinem ersten Kuss. Vom ersten Jungen, der mir unter den Pulli ging. Bilder vom vierten Ehemann meiner Mutter, der mir stets begehrliche Blicke zuwarf, wenn ich bloß mit einem Handtuch bekleidet aus dem Badezimmer huschte. Und schließlich Bilder von der leidenschaftlichen Affäre mit meinem Stiefbruder Dominik.
Die Oberschwester sieht mich so eindringlich an, dass ich schon fürchte sie könnte all diese Erinnerungen ebenfalls aus meinen Augen ablesen. Doch zu meiner Erleichterung nickt sie letztendlich.
»Gut. Dann bist du also unberührt, so wie es sich für eine Novizin gehört?«
»Was?« Ungläubig starre ich sie an. Das hat sie jetzt wohl nicht wirklich gefragt, oder?
Ungerührt hält die Oberin an mir fest. »Ich will wissen, ob du noch Jungfrau bist, Magdalena. Das ist ein wesentliches Kriterium für die Aufnahme in unseren Orden.«
Mir wird heiß und kalt zugleich. Meine Hände zittern und ich spüre, wie ich zu schwitzen beginne. Dabei muss ich noch nicht einmal lügen, als ich schließlich die Frage bejahe.
»Ja, ich bin Jungfrau.« Nicht, weil ich tatsächlich so gläubig oder enthaltsam wäre, sondern einfach deshalb, weil meine Mutter und mein bescheuerter Stiefvater ein verfluchtes Talent dafür haben, immer in den entscheidenden Situationen zu stören.
Die Sekunden, die sich Katharinas Augen in meinen vertiefen, erscheinen mir so unerträglich lange, dass ich erneut den Schwindel aufkommen fühle. Das Bedürfnis, auf den Tisch niederzusinken, oder mich irgendwo zu verstecken, um ihrem Blick zu entgehen. Doch entgegen meiner schlimmsten Befürchtung erscheint im nächsten Moment ein strahlendes Lächeln in Schwester Katharinas Gesicht.
»Ich will dir glauben mein Kind«, erklärt sie und ich atme erleichtert auf. Mit einem Mal kann ich die frische Luft vom Fenster her fühlen, die die sengende Hitze hinfort bläst. Den Wind, der sanft über meinen Körper streichelt, und all die Anspannung und Furcht der letzten Minuten wegwischt. Ich spüre Erleichterung in mir aufsteigen. Ich habe es geschafft! Ich habe die Prüfung bestanden! Ich werde in dieses verdammte Kloster eintreten und mir mein Geld auszahlen lassen!
Still und leise bücke ich mich, um mein Gewand aufzulesen. Um mich wieder züchtig zu bedecken, wie es sich für eine angehende Ordensschwester gehört. Doch gerade in dem Augenblick, als ich den weichen Stoff zwischen meinen Fingern fühle, scheidet eine Stimme durchs Zimmer und gräbt sich mir in Mark und Bein.
»Habe ich gesagt, dass du dich ankleiden darfst?«
Schwester Katharinas Stimme ist so schroff wie eh und je, als sie sich mit funkelnden Augen zu mir umdreht. Betreten taumle ich zurück, lasse vor Schreck das Kleid fallen und stoße aus Versehen gegen den Tisch.
»Ich hab gesagt, dass ich dir glaube«, erklärt sie, »aber das heißt noch lange nicht, dass wir auf eine Überprüfung verzichten!«
Überprüfung? Was zum Teufel … Die Gedanken beginnen sich in meinem Kopf zu drehen. Mit dem Rücken zum Tisch suche ich Halt. Taste mit meinen Fingern die geschnitzte Holzplatte entlang, um mich irgendwo abstützen zu können, als Katharina mit klackernden Schritten auf mich zukommt.
»Bruder Samuel, Bruder Johannes, kommt bitte näher. Ihr wisst, was zu tun ist.«
Ohne ein weiteres Wort lösen sich die beiden Mönche aus ihrer Starre und kommen auf uns zu. Die Blicke gleichgültig, die Häupter in bravem Gehorsam gesenkt. Instinktiv will ich noch einen Schritt weiter zurückweichen, und stoße dabei am Tischbein an meine Grenzen. Aber an Flucht ist jetzt ohnehin nicht mehr zu denken. Noch bevor ich auch nur den Kopf schütteln kann, haben die beiden Männer meine Arme ergriffen und setzen mich in die Mitte des Tisches. Katharina, die das Geschehen mit verschränkten Armen beobachtet hat, nickt ihnen auffordernd zu. Ich höre es hinter mir rascheln. Ein Klirren, als etwas zu Boden fällt und ein paar dumpfe Geräusche, während die Mönche hastig den Schreibkram zur Seite schieben.
»Was … was passiert mit mir?«, bringe ich endlich über die Lippen und werde im selben Atemzug bereits von den Männern fester auf die Tischplatte gedrückt.
»Es ist nur eine Routineuntersuchung«, erklärt die Oberschwester geduldig und tritt näher heran. »Wir müssen sicher gehen, dass du unversehrt bist, bevor du unserem Orden beitrittst. Dass mit deinem Körper alles in Ordnung ist. Und dass du dich in Beherrschung üben kannst.«
»Aber … ich bin unversehrt!«, presse ich zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor.
»Dann hast du ja nichts zu befürchten.«
Die Schwester und ihre beiden Helfer tauschen Blicke aus, die ich nicht so recht deuten kann, und diese Blicke machen mir Angst. So große Angst, dass ich mich aufbäume, und mit all der Kraft, die mir geblieben ist versuche, der festen Umklammerung zu entgehen.
»Was soll das? Wie kannst du es wagen? Willst du dich widersetzen? Ist dein Gehorsam so schwach?« Die Mutter Oberin spukt mir ihre Worte ins Gesicht, während sie mich höchst persönlich zurück auf den Tisch drückt. »Oder hast du uns etwa belogen, was deine Unschuld betrifft?«
»Nein, habe ich nicht, aber …«
»Dann reiß dich zusammen!«, herrscht sie mich an. »Entweder du fügst dich, so wie es alle braven Novizinnen vor dir getan haben, oder du packst deine Sachen und gehst! Und zwar sofort!«
Unsere Blicke treffen sich und ein paar Atemzüge lang halte ich Stand. Vielleicht sollte ich genau das tun, geht es mir durch den Kopf. Meine Sachen zusammenpacken und die ganze Sache beenden. Nach Hause gehen, meine Mutter und meinen Stiefvater um Verzeihung bitten, klein beigeben…
Schwester Katharinas Blick wird immer eindringlicher und ein paar Atemzüge lang habe ich das Gefühl, dass sie mich völlig durchschaut. Dass sie alles aus meinen blauen Augen lesen kann, was bisher in meinem jungen Leben so schief gelaufen ist. Der ständige Streit mit meiner Mutter und deren Ehemann Nummer vier. Mit den kleinen Zwillingen, die der ganze Stolz der Familie sind, und die gleichzeitig alles taten, um mir das Leben so schwer wie möglich zu machen. Der kalte Krieg mit meinem Stiefbruder, der irgendwann in das krasse Gegenteil umschlug. Die heiße Liebesaffäre, die wir so gut es ging vor unseren Eltern versteckten.
Ich versuche die Erinnerung rasch wieder aus meinem Kopf zu verbannen und nicht mehr an den letzten, verhängnisvollen Abend zu denken, als die Situation eskalierte.
»Es ist mein Haus, und du hältst dich gefälligst an meine Regeln!«, hatte mir mein Stiefvater zwischen zwei Ohrfeigen ins Gesicht gebrüllt. »Es gibt kein Flirten, kein Herumknutschen, kein Gefummel und auch sonst nichts in dieser Art! Du hältst dich gefälligst von Männern fern, haben wir uns verstanden?« Dass er damit alle Männer außer sich selbst meinte, hatte er natürlich nicht extra erwähnt. Denn wenn er abends beim Fernsehen wie zufällig seine Hand auf mein Knie legte, oder im Vorbeigehen meinen Hintern tätschelte, dann fand er das durchaus akzeptabel.
Allein schon die Erinnerung reicht aus, dass es mich am ganzen Leib schüttelt. Nein. Ich kann nicht zurückgehen. Ich werde es durchziehen. Ich werde meiner Mutter und ihrem Arschloch-Ehemann beweisen, dass ich es schaffe!
Schwester Katharina starrt mich noch immer an und es scheint fast, als hätte sie dabei noch kein einziges Mal geblinzelt.
»Also?«
Sie legt den Kopf schief und wartet auf meine Entscheidung. Darauf, dass ich aufstehe, und fluchtartig das Zimmer verlasse. Oder dass ich endlich zulasse, von ihr und den beiden Helfern auf Herz und Höschen untersucht zu werden.
Ich reiße meinen Blick von ihr los und sehe hinunter auf den kalten, schwarzgefliesten Marmorboden, der sich unter uns ausbreitet wie das finstere Meer der Ewigkeit. Die dunkle Robe der obersten Ordensschwester verschwimmt mit den Fliesen, es ist fast, als würde sie selbst ein Teil dieses Meeres werden. Teil der Ewigkeit. Teil meines Schicksals. Wahrscheinlich ist sie das auch.
»In Ordnung«, sage ich mit fast tonloser Stimme.
»Spreizt ihre Beine«, weist Schwester Katharina die beiden Ordensbrüder an und reicht ihnen etwas, das wie eine braune Ledermanschette aussieht. Ich habe keine Ahnung, weshalb die Oberin ein solches Werkzeug besitzt, noch, wo sie es plötzlich aufgetan hat. War es in ihrem Kittel verborgen? Irgendwo im Schreibtisch? War ich vorhin so nervös, dass mir das absonderliche Ding noch nicht einmal aufgefallen ist?